Donaukurier, 31.10.2005
München (DK) Karl Amadeus Hartmann, der Legende gewordene Gründer der Münchner
musica viva, hatte eine Eigenschaft, die unter lebenden Intendanten oder Festivalleitern selten
geworden ist: ästhetische Toleranz. So ließ er ein ganzes Spektrum der neuen Musik in München
vorführen, damals, in der Nachkriegszeit, als der Hunger danach auch besonders groß war.
Und so kam der greise Richard Strauss genauso zu Gehör wie der jung-wilde Henze; die
Neue Wiener Schule war vertreten, und Hindemith oder Strawinsky dirigierten eigene Werke.
Nur Hartmann selbst hielt sich vornehm zurück: sein Schaffen blendete er in seiner Konzertreihe aus.
2005, zu Hartmanns 100. Geburtstag, holt Münchens musica viva die Aufführung seiner Symphonien nach – so wie nun, beim zweiten Konzert der Saison, mit der eigenwilligen 5. Symphonie. Ihre Besetzung ist dem symphonischen Blasorchester nachempfunden: tiefe Streicher grundieren eine aufwändige besetzte Holz- und Blechtruppe. Und das Werk wirkt frisch wie am ersten Tag – kompakt, intensiv und bei aller Formenstrenge leidenschaftlich, mitunter bissig, bisweilen widerborstig. Ein echter Hartmann eben, zu dem Dirigent Franck Ollu nicht so recht den emotionalen Zugang gefunden zu haben schien: Seine Interpretation wirkte kühl, auch distanziert. Das Symphonieorchester des BR indes war top-präsent. Die beiden Uraufführungen des Abends atmeten den Geist Hartmanns im Hinblick auf die von ihm in der musica viva propagierten Bandbreite: Konträrere künstlerische Ansätze als jene von Fredrik Zeller oder Wolfgang von Schweinitz sind kaum denkbar. Schweinitz’ "Plainsound-Sinfonie" arbeitet mit traditionellen Harmoniefolgen; auch schon bestehende Melodiefetzen ziehen am Ohr vorbei (so schon zu Beginn die Einleitungstakte zu Wagners "Wesendonk-Liedern"). Das Traditionelle jedoch wird in neue Beziehung gesetzt, auch in sich gebrochen, was zunächst interessiert aufhorchen lässt. Auf die Dauer jedoch wirkt das rund halbstündige Werk langatmig- redundant, zumal auch die Instrumentation mit ihrer fast durchweg bemühten Hörnergruppe recht monochrom anmutet. So fand die Komposition auch keinen ungeteilten Beifall. Faszinierende Klangwelten erschloss Fredrik Zeller. Sein Orchesterstück "Wachstum" sieht die originelle Besetzung von fünf E-Gitarren vor, die auf raffinierte Weise die Klangräume des Symphonieorchesters erweitern. In seinem an Ligeti erinnernden binnenstrukturierten Aufbau verschmelzen die Instrumentengruppen auf – im Wortsinne – bislang "unerhörte" Weise, verwandeln sich beispielsweise die Streicher den Gitarren oder jene wiederum den Holzbläsern an. So weckte die 2. musica viva Neugier – auf weitere Kompositionen von Zeller. Jörg Riedlbauer
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