Quelle: agas - agentur:gitarre/ Alexander Schmitz. Dez 2005.
Ein Weilchen nichts gehört zum Thema Mehr-Gitarren-Besetzungen. Das
ist ja bekanntlich auch ein heikles Thema, und das nicht, weil Gitarristen
womöglich nichts miteinander zu schaffen haben wollten, sondern weil
18 oder 24 oder gar mehr Saiten nicht gerade einfach zu koordinieren
sind. Die Zeiten seit Jack Marshall, Tony Rizzi und anderen Multi-
Gitarren- Unternehmungen haben sich gründlich geändert, wie nicht
zuletzt auch der agas-Bericht über das
World Guitar Ensemble zu zeigen versucht hat [Juli/August ‘05, s.
hier]: Gesprochen, pardon, gespielt
miteinander wird heuer quer über alle Genre- und Stil-Zäune hinweg.
Wie sehr das stimmt, unterstreichen zwei so unterschiedliche wie
ungewöhnliche Besetzungen, das
TRAFO guitar quartet und Go Guitars.
Janusköpfig - das stimmt schon, wenn man beide Gruppen zusammen betrachtet.
Da Daniel Pabsts ganz schön anarchische E-Gitarren-Gruppe TRAFO mit Chris
Janka, Claudius Jelinek und Emanuel Peuschl, das ohne Zweifel mit viel
jugendlichem Elan alles zusammenballert, was auch nur andeutungsweise Tradition
atmen könnte. Und dann sind da GO Guitars, eine Gitarre mehr als TRAFO, auch
auf elektrischen Instrumenten, mit Christian Bergmann, Gunnar Geisse, Gregor
Holzapfel, Harald Lillmeyer und Adrian Pereya, kultiviert, ökonomisch und durchaus
ernsthaft auch der Tradition verpflichtet, zumindest auf der Platte, die GO
gemeinsam mit Singer Pur eingespielt hat. “Electric Seraphim” (K&K
Verlagsanstalt, Edition Kloster Maulbrunn KuK 98) heißt das Album. Singer Pur
existiert seit mehr als einer Dekade, gilt längst als das vielleicht beste
Vokalensemble in Deutschland und besteht aus fünf ehemaligen Regensburger
Domspatzen plus einer Sopranistin, und das hört man auch. Vokal geht es zu, als
wären King’s Singers, Double Six de Paris und buddhistische wie gregorianische
Mönche eine epochen- und kulturenübergreifende Union eingegangen, ohne die
sakrale Grundierung je zu verlassen. Dass die GO-Gruppe (die ihren Namen dem
japanischen Wort für “fünf” entlehnt) hier vor allem begleitende Aufgaben hat - die
darin bestehen, sozusagen texturale Netze auszuwerfen, in denen der Gesang sich
festsetzen darf -, kann das Interessante an ihr nicht mindern. Spätestens im
siebenten Titel, einer Komposition des jungen Komponisten Michael Hirsch
(“Anlaufen Aufschwingen Abstürzen - Monolog für 5 elektrische Gitarren und 6
Sänger)” wird ganz deutlich, wie faszinierend es sein könnte, dem Quintett ein
Konzert lang lauschen zu können. Da werden die Möglichkeiten offenbart, auf die
diese fünf sich konzentrieren, nach vorn. Und den Abschluss, nach “hinten” wie
schon im ersten Stück von Perotinus (ca. 1200), im vierten von Matthäus Pipelare
(ca. 1450-1515) und im fünften von Carlo Gesualdo da Verona (16./17. Jhdt.),
bilden dann drei Sätze von Guillaume Dufay aus dem 15. Jahrhundert. Man bleibt
mithin janusköpfig. Die modernen Kompositionen, darunter auch eine von Arvo
Pärt, seien allesamt für solch eine Gitarrenbesetzung geschrieben worden, auch
“Five” aus den “Song Books” von John Cage.
GO zerschlägt also nichts, betreibt keine Anarchie, legt es nicht an aufs
elektrifizierte Shocking, sondern lotet Räume aus, die fünf verstärkte Gitarren
gemeinsam so noch nie ausgelotet haben. Und was dieses kluge, behutsame
Quintett da findet, hat einen eigenartigen Zauber und unerwartete Suggestivkraft,
die sich, scheint’s, vor allem aus den meist nur scheinbar atonalen Überlagerungen
von (Teil-)Akkorden und Linien ergibt. Kurzum: eine Entdeckung der besonderen
Art.
Und dann eben TRAFO. Die vier haben sich bis auf ein Stück (“Gram”) von Bartok
ihre Stücke selbst geschrieben, und auch bei ihnen regiert durchweg das recht
strenge Arrangement; aber so sehr diese Gruppe junger E-Gitarristen auch
Aufmerksamkeit verdienen mag, so eindeutig legt sie es eben doch in erster Linie
auf den schönen, großen Kulturschock an, nach dem Motto: Was Heavy Metal nicht
kaputtkriegt - das besorgen wir. Hier haben wir es meist mit gebetsmühlen- oder
rondo-artig wiederholten Themen oder Figuren zu tun, über die hinweg dann das
jeweils wachsende Chaos fröhliche Urständ feiert, als gälte es immer wieder, dem
Hörer klarzumachen, wie man eine Ahnung von der Apokalypse vermittelt, indem
man die Boxen der Pandora röhren lässt. Ganz imposant mag für manche ja auch
die Handhabung von Gitarren als Bässen sein, aber wirklich ganz schön sind die
gelegentlich beinah akustisch anmutenden Passagen, bouzouki- ähnliche Sounds
etwa im zweiten Stück. Nun ja, der Synthie fehlt natürlich auch nicht, und die
Plektren prasseln energisch auf die Solidbody-Decken. “dogtales” (PG records dp
3). Laut so kurzem wie unausgegorenen Cover-Innentext sei die Musik des
Quartetts zu verstehen wie aus einem “[m]usikalischen Raum, der weder das
Gestern, noch das Morgen versteht”. Das soll wohl verblüffen, sagt aber nichts
andere als jemand, der meinte, er verstünde von Poesie nichts und schaffe deshalb
welche. Mehr noch: Der Text impliziert nicht nur einen hypertrophen Anspruch
darauf, Werte für die Ewigkeit geschaffen zu haben, sondern er ignoriert
vollkommen, dass jedes Heute stets eine Funktion aus den beiden anderen
Zeitebenen ist. Diese spezifische Ignoranz aber ist nun mal das Vorrecht juveniler
Feuerköpfigkeit, die ans eigene ewige Leben und die Allmacht der frühen Jahre
glaubt. Verunsichert werden, irritiert werden soll. Unbescheidenheit ist Programm.
Was die Gruppe in jedem Fall erreicht, ist, dass sie nach einer Viertelstunde
geduldigen Zuhörens nur noch auf die Nerven geht. Und die Hoffnung nährt, dass
die Geweihe bald abgerieben, der erste Sturm und Dank vorüber sein und im
Bewusstsein der - zweifellos begabten - Spieler die Welt nicht mehr gar so
eindimensional gesehen wird, wie es TRAFOs Musik zur Zeit noch ist.
© agas